Eine intensive Korrespondenz beginnt Michail Bulgakow (1891-1940)
erst 1921, nachdem er seinen Arztberuf aufgegeben hat und aus
seiner ukrainischen Heimat in die russische Metropole umgezogen
ist. Briefe an die Schwester in Kiew und den Bruder in der Pariser
Emigration nutzt der angehende Literat, um über seine ersten
Schritte in die neue Welt zu erzählen, aber auch, um sich
den zeitweise unerträglichen Druck der existentiellen Not
von der Seele zu schreiben. Nur ein paar Jahre später, in
der kurzen Phase seines Ruhms, als Bulgakow zum meistgespielten
Autor auf den Moskauer Bühnen avancierte, seine Stücke
auch im Ausland aufgeführt wurden, der Roman »Die weiße
Garde« und zahlreiche Erzählungen und Feuilletons zumindest
in Literaturzeitschriften publiziert wurden, ist er viel zu beschäftigt,
um ausführliche Briefe zu schreiben. Doch schon bald soll
dieses Genre eine wesentliche Funktion in seinem Leben erhalten:
Das nahezu generelle Veröffentlichungsverbot für seine
Texte ab 1929 drängt Bulgakow in die Isolation. Um so wichtiger
wird die Kommunikation mit Freunden, Kollegen, der Familie. So
sind die Briefe seines letzten Lebensjahrzehnts erschütternde
Dokumente großer Verzweiflung. Allein die ständige
Zerrissenheit zwischen aufflackernder Hoffnung und erneuter Enttäuschung,
die zermürbenden Kämpfe gegen die Zensur, die aus den
Briefen zu erahnen sind, spiegeln beredt die Situation des Schriftstellers
in dieser Zeit. Selten finden sich Äußerungen zu politischen
Vorgängen, denn Bulgakow wußte nur zu gut, daß
seine Post noch andere als die gewünschten Leser hat. Verwegen
und zugleich naiv erscheinen daher seine fünf Briefe an Stalin,
in denen Bulgakow, offenbar von der Hoffnung getragen, den mächtigen
Diktator als Gesprächspartner zu gewinnen, auf die Hetzkampagnen
gegen sich aufmerksam macht. Es bleibt hypothetisch, welche Umstände
Bulgakow vor Verfolgung und Lager bewahrt haben, die so vielen
seiner Schriftstellerkollegen das Leben kosteten. Seine Briefe
machen aber eines deutlich - trotz aller geistigen Unabhängigkeit,
die sich Bulgakow bis zuletzt bewahren konnte, hat ihn das jahrzehntelange
Kesseltreiben physisch zerstört, und als Autor mußte
er sich auf die Nachgeborenen verlassen.
Hunderte Briefe hat Michail Bulgakow geschrieben, einer davon
erlangte Weltruhm - sein kühner, in höchster Verzweiflung
an Stalin gerichteter Briefessay vom 28.März 1928, in dem
der verfemte und von der Literaturkritik halb erstickte Schriftsteller
seine Situation beklagt und um Ausreiseerlaubnis bittet: »In
den zehn Jahren meiner literarischen Arbeit fand ich in der Presse
der UdSSR 301 Reaktionen auf mich. Davon sind 3 lobend, 298 feindselig
und beschimpfend... Ich bitte, in Erwägung zu ziehen, daß
die Unmöglichkeit zu schreiben für mich gleichbedeutend
damit ist, lebendig begraben zu sein ... « Die hiermit erstmals
deutsch vorliegende umfassende Sammlung der Briefe Michail Bulgakows
schließt die dreizehnbändige Ausgabe seiner Werke ab.
Ergänzt durch eine Reihe von Dokumenten, die einen direkten
Bezug zu den Briefen Bulgakows oder zu seiner Biographie aufweisen,
ausführlich kommentiert und mit einem Personen- und Werkregister
versehen, ergeben diese beiden Halbbände den spannenden »Lebensroman«
eines der Großen der Weltliteratur unseres Jahrhunderts.