Marina Zwetajewa gilt als eine der stärksten, formal anspruchsvollsten Autorinnen der europäischen Moderne. Entsprechend schwierig ist ihr Werk zu übersetzen. Kühne Brüche und der Vorrang des Klanglichen erschweren verbindliche Sinnstiftung, provozieren sie aber auch. Erotischer Taumel, Kriegswirren, Emigration, Naturseligkeit, großstädtischer Horror sind nur einige der emotional extrem spannungsreichen semantischen Raume, die ihre zwischen strenger Artistik und ausgelassener Schwärmerei changierende Dichterrede durchmisst. - Felix Philipp Ingold lässt sich in seinen übersetzerischen Annäherungen von der melodischen und rhythmischen Dynamik der Originalgedichte leiten, um vergleichbare Energien in der Zielsprache freizusetzen. In sorgsamem, dabei durchaus eigen- willigem "Nachbau" der russischen Vorlagen vermag der Dichter-Übersetzer deren offene Sinnpotentiale in höchster Intensität zur Wirkung zu bringen. Die vorliegende Auslese vereint neben zahl- reichen Erstübersetzungen (teils aus dem Nachlass) auch radikale Neufassungen kanonisierter Meisterstücke als emphatische Zeugnisse für den Reichtum an Möglichkeiten, die singuläre Lyrik Marina Zwetajewas heute auch in deutschem Wortlaut nachvollziehend zu lesen.